Scott 1000ccm Dreizylindermotor

Die 1000ccm Dreizylinder Zweitakt "Scott" von 1934!!

Auch heute noch ist ein 2T-Motorrad, dessen Motor mehr als 750 ccm hat, etwas Außergewöhnliches. So kann man sich vorstellen, welche Sensation es bedeutete, als vor rund 69 Jahren eine englische Firma -- Scott - auf der Londoner Motorradausstellung ein neues Motorradmodell präsentierte, das gleich viermal ungewöhnlich war: Es hatte einen Dreizylindermotor - der war wassergekühlt, sein Hubraum betrug 1000 ccm - und noch dazu war es ein Zweitakter. ....Vor 69 Jahren!
1934 gab es bei der Londoner Motorradausstellung im Earls Court eine Sensation: Gerade noch eben vor der Eröffnung hatten die Scott-Leute, die schon seit 1907 in Shipley wassergekühlte Zweitakt-Motorräder mit 500 und 600 ccm bauten, etwas ganz Tolles auf ihren Stand gerollt: Ein Motorrad mit einem 1000 ccm-Dreizylindermotor. Auch wieder ein Zweitakter, auch wieder mit Wasserkühlung, als Dreizylinder etwas Einmaliges, 1934 jedenfalls noch nicht Dagewesenes!
Man hatte in Shipley schon einige Zeit mit einem solchen Motor experimentiert und zunächst eine 750er Version gebaut. Die war in manchem konstruktiven Detail etwas anders gewesen als der spätere 1000er, so hatte sie vor allem ein Tunnelgehäuse gehabt und eine Einstück-Kurbelwelle mit geteilten Pleuelfüßen. Aber für die Serie (zu der es freilich dann nie mehr kam, es sind unseres Wissens nicht ein mal ein Dutzend Mustermaschinen gebaut worden obwohl im Werk beträchtliche Mengen von Teilen schon vorbereitet waren) hatte man sich dann der Ausführung zugewandt, die in unseren Bildern zu sehen ist.
Der Motor mutet wie ein Automobil-Triebwerk an, und als solches sollte er wohl nach den Ideen seines Konstrukteurs, Mr. Cull, auf sechs Zylinder erweitert, auch Verwendung finden. Mit dem Motor war ein ganz eng gestuftes, fußgeschaltetes Vierganggetriebe verblockt, auf der Kurbelwelle saß eine automobilgemäße Einscheiben- Trockenkupplung. 
Senkrecht waren an der rechten Seite des Blocks die Lichtmaschine und der Verteiler für die Batteriezündung montiert, die Zündverstellung erfolgte von Hand mittels eines links am Lenker montierten Drehgriffs.

Oben: Der wuchtige Motor/Getriebeblock und der nicht minder wuchtige Wasserkühler bestimmen den Gesamteindruck des schweren Brummers, der schon vor rund 40 Jahren In Shipley entstand. Hinter dem Kühler befindet sich nicht der Tank, sondern nur eine Blechattrappe. Die Tanks sitzen rechts und links vom Hinterrad.

Nebenstehend: Für 115.- alte Englische Pfund wurde die Maschine damals angeboten (zu jener Zeit ca. DM 2300.-) - bezeichnet als Sechszylinderwagen auf zwei Rädern. Aber die katastrophal verschlechterte finanzielle Situation bei Scott verhinderte dann den Serienanlauf  und als einige Jahre später der Krieg ausbrach, wurde der Motorradbau bei Scott leider ganz eingestellt.
Ich habe niemals einen anderen Zweitakter kennengelernt, der auf die Zündverstellung so reagierte wie dieser Dreizylinder-Scott-Motor (wieso ich diese Feststellung machen konnte, kommt später).
Im Getriebegehäuse war ein Kegelradtrieb untergebracht, von dessen Querwelle eine Kette zum Hinterrad führte.
In dem aus Blechprofilen hergestellten, hinten natürlich
noch ungefederten, vorn mit einer Webb-Parallelogrammgabel ausgerüsteten Rahmen saß der wuchtige Motorblock mit den Zylindern und der Kurbelwelle in Längsrichtung. Der Zylinderblock stellte ein Gußstück dar, das mit langen Hälsen (die durch eingesetzte Bundbuchsen gebildet wurden) in die Kurbelkammern hinunterragte. Auf diese Weise konnten, wie bei Scott seit eh und je, alle Steuerschlitze maschinell nach Lehren  bearbeitet werden. Außerdem wurde der zwischen dem oberen Buchsen­rand und dem Zylinderkörper verbleibende Ringspalt für den Schmierkreislauf mit herangezogen. Der Leichtmetallkopf war abnehmbar, er hatte domförmige, den Kolbennasen entsprechende Verdichtungsräume, die ganz bearbeitet, deshalb genau gleichgroß und zudem poliert waren. Mit engstehenden Bolzen war der Kopf auf den Block „aufgenäht". Die Nasenkolben zeigten die für Scott typische Bauart  symmetrische Ablenknase, erstaunlich geringes Gewicht, drei ganz schmale Ringe, schwimmende Kolbenbolzen mit Leichtmetallpilzen und Ölhaltenuten rings um den Schaft. Besonders interessant waren Kurbelgehäuse und Kurbeltrieb. Die Zwischenwände des (beim 1000er horizontal geteilten) Kurbelgehäuses wurden durch Leichtmetall-

scheiben gebildet, die im Durchmesser etwas kleiner waren als die vollen Hubscheiben der „gebauten" Kurbelwelle mit ihren um 120° versetzten Kröpfungen. Sie enthielten je zwei Rollenlager und dazwischen die Wellenabdichtung, die aus nicht mehr als zwei konzentrischen Stahlringen bestand, in deren Zwischenspalt ÖI mit höherem als der Vorverdichtung entsprechendem Druck gepreßt wurde. Das überschüssige Öl wurde durch eine eigene Pumpe aus den Kurbelkammern abgesaugt der seltene Fall eines Zweitakters mit Trockensumpfschmierung. Im übrigen gelangte der der Schmierung dienende Ölanteil über die Haupt- in die Pleuellager und über die bereits erwähnten Laufbahn-Ringnuten auch zu den Kolben-Gleitbahnen.
Die erwähnten Kammer-Trennscheiben waren doppelwandig ausgebildet - man hatte sich die Möglichkeit vorbehalten, Wasser oder ÖI hin­durchzuleiten, um die Gehäusekühlung und damit Füllung und Leistung des Motors zu verbessern (1934!).
Oben: Das Schnittbild zeigt die Anordnung der drei kleinen Kurbelkammern in dem großen Motorgehäuse recht gut, vorn die beiden Zahnrad-ÖIpumpen, neben dem Flansch für den Vergaseranschluß die Hauptölpumpe. Im Gehäuse- unterteil befanden sich rund 5 Ltr. Motorenöl
Wie die Schnittdarstellung des Motors zeigt, enthielt das voluminöse Motorgehäuse nicht nur die drei Kurbel- kammern, sondern auch den großen Ölvorratsraum mit etwa fünf Liter Fassungsvermögen. Ähnlich wie schon bei den Scott-Zweizylindermotoren waren auch hier nach Abnehmen aufgeschraubter Deckel bzw. des Auspuffkrümmers die Steuerschlitze von außen zwecks Reinigung zugänglich. Und reinigen mußte man Zweitakter damals in recht kurzen Intervallen. Nicht weniger als drei Ölpumpen wurden am 1000er verwendet: Außer der mit der Vergaser­betätigung gekoppelten und deshalb belastungsabhängig fördernden Hauptölpumpe an der linken Motorseite gab es da noch zwei Zahnradpumpen an der Stirnseite. Eine diente der Ver­sorgung der Nebenantriebe, die zweite war die bereits erwähnte Glabsaugpumpe. Nicht weniger als drei Filter waren im Ölkreislauf vorgesehen.
Die Leistung des Motors betrug 50 PS bei etwa 4000 U/min - für jene Tage enorm. Denn immerhin waren das 50 PS/L. Normale Serienzweitakter brachten es damals bestenfalls auf 30 PS/L, die DKW-Doppelkolbenrennzweitakter, die die Rennstrecken beherrschten, hatten etwa 70 PS/L. Nicht ausreichend war offenbar die Kühlung in der Ausführung, wie sie unsere Bilder zeigen:
Die Höhendifferenz zwischen Zylinderblock und Kühler war zu gering, um den Thermosiphonumlauf ausreichend funktionieren zu lassen. 

Da hätte man wohl früher oder später eine Wasserpumpe einschalten müssen. Eine Benzinpumpe, und zwar eine elektrische, hatte der schwere Brummer ohnehin schon: Der Motor war zu hoch, um über ihm noch einen ausreichend großen Tank unterbringen zu können. So ordnete man die Kraftstoffbehälter rechts und links vom Hinterrad nach Packtaschenart an, und wenn die Zündung eingeschaltet wurde, hörte man als erstes das leise Ticken der Pumpe, die den Kraftstoff zum Vergaser brachte.
Nebenstehend: Klappte man die seitlichen Verkleidungs- bleche, die einen Tank vortäuschen konnten, hoch, so lagen die elektrische Kraftstoffpumpe, der Verteiler und die Kerzen offen zugänglich. Nach Lösen der vielen kleinen Linsenkopf­Schlitzschrauben konnte man die Leichtmetall- platte abnehmen, die die Überströmkanäle verschloß.
                                                      Bilder: Archiv Rauch.

Ich hatte, als alter Scott-Fan das Glück, diese so einmalige Zweitaktmaschine selbst kennenzulernen. Es war während des Krieges, als Crius, der damals noch allein in der MOTORRAD-Redaktion in Berlin saß, mich bei DKW in Chemnitz anrief, um mir mitzuteilen, daß in Paris, bei Monsieur Garreau (der heute noch als Motorradhändler aktiv und weit bekannt ist) eine der wenigen gebauten Dreizylinder­Scottmaschinen (Seriennummer 006) stünde. Er würde sie sogar hergeben, sofern ich ihm zu einer der vor dem Krieg an Privatfahrer verkauften DKW-Zweizylinderrennmaschinen mit 350er Doppelkolbenmotor verhelfen könnte. Ich konnte, denn ich konnte die Geschäftsleitung davon überzeugen, daß dieser Dreizylinder für DKW, wo man ja damals schon an einem Dreizylinder-Wagenmotor arbeitete, hochinteressant sein müßte, und ein paar der begehrten Rennmaschinen standen noch auf einem Ausweichlager. So erhielt Garreau seine DKW und wir die Scott - ganz legal und nicht, wie ich später in einer englischen Zeitschrift las, weil wir sie ihm kraft Besatzermacht geklaut hätten. Ich aber durfte dieses Traummotorrad (man wird mir glauben, daß es das damals für mich war!) einige Wochen mit einem bewinkelten Probefahrtkennzeichen bewegen, sogar auf dem Marienberger Dreieckskurs, an den wir so schöne, wehmütige Erinnerungen hatten. Jede Fahrt war ein Erlebnis.
Dann mußte ich die Scott in Zschopau bei der Versuchsabteilung abliefern. Ich weiß nicht genau, ob sie denen dort soviel bedeutete, wie mir. Und viele Jahre nach Kriegsende erst erfuhr ich, was aus ihr geworden war: Unter einem Riesenhaufen alten Packmaterials versteckt hatte sie die Demontage bereits überstanden, da fand sie doch noch einer. Eine besonders schöne Kiste wurde gezimmert, und die Scott ging per Bahn auf ihre letzte Reise, vermutlich weit hinter den Ural ...                                                                                                                                         Ra.

Der Bericht und die Bilder wurden leicht verändert im anderen Layout aus der "Motorrad 26/1971" entnommen.